Rorschach macht Marinegeschichte

Wilhelm Bauer (1822-1875), Bueste im Deutschen Museum München
Wilhelm Bauer (1822-1875)

Nicht Schrecken, wie man erwarten möchte, sondern freudige Erregung erfasste die Bevölkerung an der Rorschacher Bucht, als am Morgen des 22. Juli 1863, der zu «einem der heissesten Tage dieses Sommers»161 werden sollte, donnernde Salven das ruhige Alltagsleben unterbrachen. Lange hatte man auf dieses Signal gewartet, das den erfolgreichen Abschluss einer technischen Operation ankündigte, deretwegen der Name Rorschachs seit zwei Jahren immer wieder in der in- und ausländischen Presse aufgetaucht war.

Nach unsäglichen Schwierigkeiten, die jedoch keineswegs «die Hiobsgeduld des wackeren Herrn Bauer zu erschöpfen»162 vermochten, war es endlich gelungen, das Unglücksschiff <Ludwig> der Seetiefe zu entreissen. Von diesem wackeren Herrn Bauer und seiner staunenswerten Leistung sei hier berichtet, denn davon weiss man viel weniger als über die Katastrophe selbst, der 13 Menschen ums Leben gekommen waren. Der Schweizer
Dampfer <Zürich> hatte am Abend des 11. März 1861 auf der Höhe der Rheinmündung das bayerische Postschiff <Ludwig> in den Grund gebohrt. Trauer und Entsetzen waren gross.

Die Hebung der <Ludwig> war das letzte aufsehenerregende Werk, das der Erfinder Wilhelm Bauer in seinem überaus aktiven Leben vollbracht hatte. Der 1822 in Dillingen a.d. Donau geborene Wilhelm Bauer hatte das Drechslerhandwerk erlernt und erst später sein ausgeprägtes Interesse für Dampfmaschinen und Schiffsbau entdeckt.

Während des Krieges zwischen dem Deutschen Bund und Dänemark im Jahre 1848, an welchem er als Korporal teilnahm, beschäftigte den leidenschaftlichen Konstrukteur das Problem, wie man sich unter Wasser einer Brücke nähern könnte, um sie in die Luft zu sprengen. Das Resultat seiner Bemühungen war das erste Unterseeboot.

Obwohl Bauer auf einer Probefahrt mit dem <Eisernen Seehund> beinahe den Tod erlitten hätte, verfolgte er seine Pläne hartnäckig weiter. Für seine Erfindung erntete er wohl das Lob mehrerer Marineministerien, aber keinen Rappen Geld, und in England betrog man ihn gar um seine Rechte. Aus Rache offerierte Bauer seine U-Boot-Projekte den Feinden Englands, den Russen. Im Zarenreich griff man zu, und nach hart erkämpften Siegen über Borniertheit und Bürokratie konnte er ein weiteres tauchfähiges Boot in russischen Gewässern von Stapel lassen. 1858 verliess der mittlerweile berühmt gewordene Bauer Russland, nachdem er auch noch ein System ausgeklügelt hatte, um gesunkene Schiffe mit Hilfe luftgefüllter Kautschukballons wieder zu heben.

Von der Bayerischen Dampfschiffahrtsgesellschaft erhielt er den Auftrag, die <Ludwig> wieder ans Tageslicht zu holen - eine Chance, seine Ideen zu erproben. Bauer wagte das Unternehmen, trotzdem ihn die Auftraggeberin höchst unzureichend unterstützte und statt der Luftballons nur alte Fässer zur Verfügung stellte. Weitere Probleme ergaben sich bei der Rekrutierung der Taucher, welche die Fässer am gesunkenen Schiff befestigen sollten. Für diese gefährliche Arbeit liessen sich nur Männer gewinnen, die nicht eben den besten Ruf genossen. Im April 1861 begann Bauer, der sich im Hotel <Seehof> einquartiert hatte, mit den ersten Versuchen.

Die gebobene Ludwig wird in den Hafen von Rorschach geschleppt. Aquarell von Joseph Martignoni.
Die gebobene Ludwig wird in den Hafen von Rorschach geschleppt.

Die Öffentlichkeit verfolgte das Unternehmen mit höchster Aufinerksamkeit, und die Presse protokollierte die Vorgänge auf dem See von Tag zu Tag. Dutzende von Booten mit Neugierigen umlagerten den Schauplatz des sensationellen Geschehens, was geschäftstüchtige Wirte auf den Gedanken gebracht hatte, draussen einen schwimmenden Getränkehandel aufzuziehen.

Bis zu neun Minuten hielten es die Taucher in 65 Fuss Tiefe aus. Mit 49 Fässern brachte die Bergungsmannschaft am 27. Mai den schon tief im Rheinschlamm sitzenden Dampfer bis nahe an die Oberfläche; wegen eines heftigen Gewitters sank er jedoch wieder auf Grund. Dem hartnäckigen Bauer glückte das heikle Manöver zweites Mal, aber erneut trat ein Rückschlag ein. Bereits hatte man die <Ludwig> sogar ein Stück uferwärts gezogen, da passierte das Missgeschick. Bauer entfernte einige Fässer, um das halbwegs gehobene Schiff vor dem gefürchteten Wellenschlag zu schützen. Weil die Tiefe an der erreichten Stelle angeblich nur 18 Fuss betrug, schien ihm dies mit keinerlei Risiken verbunden. Wie staunte er aber, als das Wrack immer tiefer sank und nach 75 Fuss auf festem Seegrund landete!

Am 22. Juni holte er das Schiff zum drittenmal nach oben, aber ein Hagelsturm zerstörte auch jetzt wieder die Früchte harter Anstrengung. Es kam zum Bruch mit der Schiffahrtsgesellschaft, die nun einen Herrn Hochholzer aus
München beauftragte, das Schiff mit Kranen zu heben, was natürlich misslang. Bauer, für den die Bergung der <Ludwig> mittlerweile zur Ehrensache geworden war, machte sich 1862 nochmals hinter die Lösung der schwierigen Aufgabe. Unterdessen war das Interesse an diesem kühnen Unterfangen überall gewachsen, und es hatten sich Komitees zur finanziellen Unterstützung des wagemutigen Marineingenieurs gebildet. Am 10. Juni 1863 verkündete eine hiesige Zeitung: «Mit der Hebung der <Ludwig> wird es nun ernst.»163 Auch jetzt, als Bauer nicht nur Fässer, sondern auch Kautschukballons verwendete, gab es noch mancherlei Zwischenfälle zu überstehen, bis das Wrack wieder über dem Wasserspiegel auftauchte.

Die Schleppfahrt zum Rorschacher Hafen gestaltete sich dann zum Triumphzug: «Alles verfolgte mit gespannter Erwartung das Unternehmen, und ein seltsames Anschauen war es, die <Wilhelm> voraus, rechts und links die beiden Schleppschiffe, auf denen die Lokomobile standen, die den Ballonen stetsfort Luft zupumpten, in der Mitte aber die <Ludwig> zu sehen, die mit den Radkästen einige Schuh über den Spiegel des Sees ragte, von einem Kranz von Ballonen und Fässern umgeben; den Schluss bildeten eine Menge Gondeln. Nahezu am Ufer angelangt, gesellte sich auch die <Königin> mit vielen Zuschauern dazu und begrüsste mit kräftigem Kanonendonner den auferstandenen Kameraden, der erwidert wurde von der <Wilhelm>, von andern Schiffen und vom Lande her. Zu gleicher Zeit aber tönte die Glocke der <Ludwig> zum erstenmal wieder seit jener unglücklichen Katastrophe, als der Schiffsjunge in
der Verzweiflung noch zweimal, aber vergebens, dieselbe anzog, um dann mit dem Schiff unterzugehen.»164 Eine riesige Menschenmenge staute sich am Ufer. «Wer laufen konnte lief, alt und jung, vornehm und gering, und der Hafendamm vor Rorschach bot das Bild eines wahren Marktgewühls ...»

«Ein donnerndes Lebehoch»165 ernteten die unternehmungslustigen Brüder Helfenberger, weil sie die <Ludwig> fur 18500 Fr. erwarben, um sie nach einer gründlichen Instandstellung wieder auf Fahrt zu schicken.

Wilhelm Bauer, diese ungewöhnlich energievolle Persönlichkeit, verkörperte den Pioniergeist des 19. Jahrhunderts in seltener Intensität. Weil ihm Anerkennung nicht im verdienten Masse zuteil geworden war, überschattete Verbitterung sein Alter. Nach langer Krankheit verstarb er am 18. Juni 1875.

Die gelungene Hebung der <Ludwig> hat den Glauben an die Macht der Menschen zur Überwindung der bedrohlichen Elemente gewaltig gestärkt. Das ist es, was dem damals bloss aufsehenerregenden Ereignis im Rückblick symbolischen Rang verleiht.

Weiterlesen im vorherigen / nächsten Kapitel.

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161 Ostschweizerisches Wochenblatt, 26.7.1863
162 Ostschweizerisches Wochenblatt, 21.6.1863
163 Ostschweizerisches Wochenblatt, 10.6.1863
164 Ostschweizerisches Wochenblatt, 24.7.1863
165 Ostschweizerisches Wochenblatt, 28.8.1863

Text: Louis Specker
Buchtitel: Rorschacher Kaleidoskop 1985, S.75-77
Historische Skizzen aus der Hafenstadt im hohen 19. Jahrhundert
Copyright: 1985 by E. Löpfe-Benz AG, Rorschach

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