Die Illusion «Lebendiges Kornhaus »

Seit Jahren wird vergeblich geplant, wie das Rorschacher Kornhaus für neue Zwecke gründlich umgestaltet werden könnte.

RORSCHACH. Die vielen Pläne für eine neue Nutzung des Wahrzeichens von Rorschach sind bisher nicht nur an den Kosten gescheitert. Im Innern kann der mächtige Bau als Getreidelager- und Handelshaus erstellte Bau nur mit radikalen architektonischen Eingriffen vom Lagerhaus zu einem modernen Mehrzweckgebäude umgebaut werden.

OTMAR ELSENER

«Mancher angesehene Fürst besitzt kein solches Schloss wie das hiesige Kornhaus ist» schrieb ein Besucher von Rorschach 1810 in einem Reisebericht. Tatsächlich ist dem palastähnlichen Gebäude noch heute kaum anzumerken, dass sein ursprünglicher Zweck nur der Lagerung von Getreide diente. Der staatliche Korn- und Lagerhausbetrieb wurde 1908 aufgegeben, worauf der Kanton sein unter äbtischer Herrschaft 1748 erbautes Kornhaus für 100’000 Franken an die Stadt verkaufte.

Obwohl die Stadt das Gebäude für das Wohl der Bevölkerung von Rorschach erworben hatte, blieb es jahrzehntelang nur ein Lagerhaus. Die Getreidefirmen der Stadt mieteten Lagerräume und der Bund unterhielt im Dachstock ein Zuckerpflichtlager. Immer wieder beschäftigten sich die Bürger mit einer Neu-Nutzung. Der bekannte Rorschacher Architekt Adolf Gaudy entwarf ein kühnes Projekt für den Einbau eines Theaters und Konzertsaal. Es blieb Papier. Erst mit dem 1935 eröffneten Heimatmuseum wurde es wenigstens teilweise der Öffentlichkeit zugänglich. Später zogen die Hafenverwaltung und das Schifffahrtsamt ein.

Toter Lagerraum

Wind und Wetter begannen, dem Hause zuzusetzen, Verputz bröckelte ab, ein Eckpfeiler musste gestützt werden. Man sprach sogar von Abbruch und Schaffung eines Parkplatzes oder einer Gartenanlage. Doch das wollten die Rorschacher nicht zulassen. Mit Idealismus beschlossen sie 1955 eine Aussenrenovation. Deutlich, mit 1309 Ja gegen 727 Nein, stimmten sie für den Erhalt ihres mächtigen Wahrzeichens, die Renovation wurde 1958 abgeschlossen. Der schöne Bau war nun gerettet, doch im Innern blieb alles beim Alten.

Richtig Druck machten vor zwanzig Jahren einige junge Rorschacher mit einer Volksinitiative für ein «Lebendiges Kornhaus». «Ueber die Nutzung des Kornhauses wird schon sehr lange geredet, phantasiert, geplant und projektiert. Was von aussen frisch renoviert und schön aussieht, ist inwendig toter Lagerraum. Das Kornhaus verdient mehr und besseres als eine einfache Lagerhalle» argumentierten sie.

Architekten Wettbewerb

Der Druck der Öffentlichkeit überzeugte den Stadtrat 1989, einen Ideenwettbewerb für eine Revitalisierung des Kornhauses unter zehn Architekten auszuschreiben. Die Wettbewerbsaufgabe verlangte Vorschläge für die Gestaltung und Nutzung der Innenräume unter Berücksichtigung des historischen Wertes des Gebäudes. Das Raumprogramm wurde klar umschrieben. Im Kornhaus sollten Platz finden: Das Schifffahrtsamt, Museumsräume, das Bezirksgericht, eine Tanz- und Balletschule, ein Veranstaltungsraum für den Verein «Lebendiges Kornhaus», Büros des Verkehrsvereins, die Stadtbibliothek, Vortrags- und Vereinsräume und schliesslich ein Restaurant. Dem kürzlich verstorbenen Stadtrat Ruedi Gnädinger gelang es, den berühmten Wiener Architekten Hans Hollein ins Preisgericht zu verpflichten.

Der Sieger hiess «Trunk»

Der Wettbewerb lohnte sich. Das Preisgericht stellte im April 1990 fest, dass ausserordentlich interessante Lösungsvorschläge eingegangen waren. Einstimmig wurde das Projekt «Trunk» der St. Galler Architekten Kuster & Kuster dem Stadtrat zur Weiterbearbeitung empfohlen. Es überzeugte mit seiner architektonischen Idee, einen völlig neuen Baukörper ins Innere des Gebäudes zu stellen. Das geplante Restaurant sollte mit einem Glasanbau an der Westseite erweitert werden, dort, wo heute an Sommerwochenenden die bereits beliebte Kornhausbar aufgebaut wird. Der zweite Preis wurde dem Projekt «Coelestin Gugger» der Rorschacher Architekten Bächtold und Baumgartner zugesprochen, die ebenfalls eine Restaurant Terrasse gegen Westen vorsahen.

Es fehlte das Geld

Nun lagen wohl gute Pläne vor, doch die Begeisterung für einen Umbau flaute rasch ab, als Fachleute die Kosten auf 18 Millionen Franken schätzten. «Der Stadt fehlen die Mittel» sagte der damalige Stadtammann Marcel Fischer 1991 und schlug vor, das Kornhaus dem Kanton zu schenken, damit dieser die Umgestaltung finanziere.

Die Kantonsregierung erklärte, der Vorschlag stehe «nicht ernsthaft zur Diskussion». Bis 1995 war das Kornhaus dann nur noch ein Thema in fruchtlosen Sitzungen der gemeinderätlichen Planungskommission, bis endlich 1995 der Gemeinderat dem Stadtrat den Auftrag erteilte, wenigstens detaillierte Pläne für einen Ausbau in Etappen ausarbeiten zu lassen.

Weil sich das Projekt «Trunk» nicht für stufenweisen Ausbau eignete, wählte der Stadtrat das Projekt «Coelestin Gugger» und legte den Rorschachern 1988 einen Projektierungskredit von 650000 Franken zur Abstimmung vor. Es entspann sich ein heftiger Abstimmungskampf. Die Gegner fanden diesen Betrag für eine weitere «Planungsleiche» überrissen. Weil auch der Stadtrat nicht geschlossen hinter der Vorlage stand, wurde der Kredit mit nur 35 Stimmen Differenz abgelehnt. «Mit einer solchen Negativ-Botschaft hat Rorschach als Wohn- und Zentrumsort verloren» sagte der damalige Stadtrat Jakob Ruckstuhl, der sich vehement im Komitee «Pro Kornhaus» für das Projekt eingesetzt hatte.

Stararchitekt Santiago Calatrava

Zwei Gemeinderäte, Caspar Angehrn und Ferdinand Kleger, wollten sich mit diesem negativen Entscheid nicht abfinden. Bereits zwei Jahre später überzeugten sie den ehemaligen Landammann Walter Kägi, nochmals Schwung in die Sache zu bringen. Mit einer Stiftung nach dem Vorbild «Hof Wil» sollten Investoren und Sponsoren gesucht werden. «Die Privatwirtschaft und Behördenmitglieder müssen zusammenspannen» sagte Kägi. Er gewann den weltbekannten Stararchitekten Santiago Calatrava zu einer intensiven Zusammenarbeit. Calatrava begeisterte in öffentlichen Vorträgen die Rorschacher mit seinen Ideen, er wollte den verbauten Gewölbekeller als Markthalle, als Ort der Begegnung, öffnen und einen hohen über drei Stockwerke reichenden Saal einbauen. Sogar die Denkmalpflege liess sich überzeugen. Die Stadt beauftragte Calatrava, auch für die Seeuferanlagen eine Projektstudie zu entwickeln, worauf sich der Stadtrat entschied, die Seeufergestaltung dem Kornhaus vorzuziehen. Die Stimmbürger bewilligten einen Projektierungskredit von nahezu einer Million Franken. In einem Antrag an den Kanton bezeichnete der Stadtrat das Gesamtprojekt Calatrava als «grosser Wurf aus einem Guss» und als «Initialzündung für die Renaissance der Stadt am See».

Widerstand gegen Calatrava

Die Stiftung mit namhaften Persönlichkeiten stand vor der Gründung, als gegen Direktaufträge an Calatrava unerwartet von verschiedenen Seiten Widerstand aufkam. Daraufhin entschied sich der Stadtrat überraschenderweise für einen sogenannten kooperativen Planungsprozess. Einmal mehr wurden wieder neue Pläne entwickelt und im März 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt. Inzwischen hat die SBB mit dem Umbau des Hafenbahnhofs und der neuen Geleiseführung mit langen Barrieren die Realisierung eines grossen Platzes vor dem Kornhaus verhindert. «Eine starke Idee ist gestorben» sagte Walter Kägi. Die grosse Arbeit für die Stiftung Kornhaus ist von den Beteiligten vergeblich geleistet worden, zu einer Gründung der Stiftung kam es nie. «Der grosse Wurf» mit Calatrava wird ein weiterer schubladisierter Plan bleiben. Auch Santiago Calatrava wird seinen Enthusiasmus und seine Kreativität anderswo wirksamer einsetzen.

Im Stadtrat wurde erwogen, als erste Bauetappe wenigstens das Erdgeschoss als frei zugängliche Halle zu öffnen. Einziges Ergebnis aus der ganzen Planerei ist bis heute der Abriss des Güterschuppens und der Bau eines kleinen provisorischen Gebäudes für den Hafenmeister. Visiere zeigen wohl einen Neubau für ein Restaurant an, dies bleibt bisher auch nur geplant und ist architektonisch weit entfernt von den kühnen Ideen Calatravas.

Die Hoffnung stirbt nie

Wie weiter mit dem Kornhaus? Letztes Jahr wurde der Stadt der Preis der Karl Stürm Stiftung übergeben in Form einer Studie der Uni St. Gallen für ein «machbares» Kornhaus. Doch der Stadtrat will vorerst die Ufergestaltung durchziehen, die Neugestaltung des Kornhauses scheint einmal mehr in weite Ferne gerückt. Vielleicht doch nicht. An der letzten Bürgerversammlung haben die Stimmbürger einen Antrag des Museumspräsidenten Ruedi Stambach angenommen, der vom Stadtrat verlangt, ein Konzept für eine grundlegende Sanierung und Nutzung des Kornhauses mit Zeitplan zu erarbeiten und die Bürgerversammlung 2009 darüber zu informieren. Die Hoffnung stirbt auch 100 Jahre nachdem der Lagerhausbetrieb aufgegeben wurde nicht.

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