Vom Ausklang des Rorschacher Leinwandhandels

Die Zeitspanne des Rorschacher Leinwandhandels. Grafik R. Grünberger RMC 07.1969
Die Zeitspanne des Rorschacher Leinwandhandels

Es drängt sich die Frage auf, weshalb die Rorschacher Exportfirmen der Bayer, Hoffmann und Albertis, die auch Familienunternehmen waren, nicht weiterdauerten und nach 1800 ihre Tätigkeit einstellten. Wir glauben, dass einem Weiterbestand dieser Geschäfte neben dem Aufkommen der Baumwolle, politische Ereignisse und geänderte Ansprüche der Kundschaft, auch personelle Gründe entgegenstanden. Der Siegeszug der Baumwolle verdrängte ganz allmählich die reine Leinwandmanufaktur. Lange bevor die ersten Maultiere, mit Rorschacher Leinwandlegeln beladen, ihren Weg über die Alpen nach Süden nahmen, war die Baumwolle als mächtigste Rivalin der Leinwand in Spanien erschienen. Zur Zeit Karls des Grossen (800) waren Baumwollspinnerei, -weberei und -färberei in den Reichen der Kalifen eingeführt. Im 10. Jahrhundert gab es sogar spanischen Anbau und bedeutende Baumwollmanufakturen in Barcelona. Zwei Jahrhunderte später verbreitete sich die Kenntnis der Baumwollverarbeitung in Sizilien, von wo sie im übrigen Italien Eingang fand. Abermals nach hundert Jahren standen blühende Baumwollspinnereien und - webereien in Venedig, Mailand und Florenz.

Ennetbirgische Kaufleute brachten mit den andern glauben, dass einem Weiterbestand dieser Geschäfte Erzeugnissen baumwollene Tücher und bald darauf auch Baumwollgarne und rohe Baumwolle zu uns. In Basel lässt sich das Gespinst schon 1380 nachweisen, als ein teilweiser Ersatz für das Leinen, indem man dem leinenen Zettel einen baumwollenen Eintrag beifügte. In ganz Süddeutschland wurden solche Gewebe mit Schmutz bezeichnet. Später wurde ganz aus Baumwolle gewoben unter dem Namen Barchent. Bei der Männerkleidung waren diese Stoffe, von meist grauer Farbe, ihrer Stärke wegen für das Wams beliebt, während man für die Hosen eher Wollstoff bevorzugte. Neben Basel wurde auch Luzern durch seine Schürlitzweberei im 15. Jahrhundert bekannt. Für die Entwicklung der Zürcher Baumwollindustrie wurden die eingewanderten Locarneser, aber auch die französischen Flüchtlinge von Bedeutung, die seit 1685 truppweise ihr Land verliessen, um bei ihren reformierten Glaubensgenossen in andern Ländern eine neue Heimat zu finden. Ihnen verdankt die Limmatstadt die Einführung von Mousseline und indienne. Andere Gegenden folgten: der reformierte Aargau, der Kanton Bern mit Langenthal, das Glarnerland. St.Gallen begann um 1730 mit der Herstellung von halbleinenem Barchent, der schon zehn Jahre später die baumwollene Druckkattune folgten. Das führte anfangs der fünfziger Jahre zu den glatten und faconnierten Mousselines und zur Erfindung der das Feld erobernden Baumwollstickerei.

Es mag auch hervorgehoben werden, dass im Gegensatz zu Hanf und Flachs, die zum Bleichen drei bis vier Monate benötigten, die Baumwolle den Vorteil bot, dass sie sich in ebensovielen Wochen bleichen liess. Zudem wurde auch die rohe, unreine Potasche durch reinere Chemikalien ersetzt. 1807 wurden, trotz des Widerstandes des Rorschacher Gemeinderates, die klösterlichen Bleichegüter von der Liquidations-Kommission an Private veräussert.

Die Umsturzjahre im Gefolge der Französischen Revolution waren dem Leinwandhandel nichts weniger als hold. Dann behinderten die Feldzüge des Korsen während anderthalb Jahrzehnten den europäischen Handel. Da konnten auch die in Oberitalien und Spanien errichteten Filialen den Absatz nicht mehr im Fluss halten. Die Kriegsjahre schränkten nicht nur die Bestellungen ein, sie liessen auch viele Guthaben verloren gehen.

Schädigend wirkten auch die Prohibitiv-Zollgesetzgebung Josephs II. und das französische Edikt vom Jahre 1781, welche die unserem Lande früher gewährte Einfuhrfreiheit aufhoben und den Import der Leinwand derart belasteten, dass bald keine Gewinne mehr herausschauten.

Immer mehr spürte man auch in Rorschach die Konkurrenz der schlesischen Leinwand, die wegen ihres schönen Aussehens, der Leichtigkeit und des billigen Preises sehr gesucht war. Damit wären wir bei den Ansprüchen der Kundschaft angelangt, die sich mehr und mehr den Baumwollgeweben in ihren vielfältigen Formen zuwandte.

Bei der Familie von Bayer starb die Linie des Untern Hauses («Im Hof») 1788 aus. Sie hatte über vier Generationen hinweg unter Franz (geb. 1631), Matthäus Wendelin, Joseph Anton und Georg Wendelin im Leinwandhandel Bedeutendes geleistet. Von den verschiedenen Zweigen des Obern Hauses (Rathaus), die der Handel begütert gemacht hatte, starben alle bis auf zwei sozusagen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus. Die zwei länger lebenden Zweige änderten den Beruf. Johann Dagobert Wilhelm (1813-64), betrieb in der alten Obervogtei (heute Schweiz. Bankverein) ein damals vielgeschätztes Kolonialwarengeschäft. Seine weiblichen Nachkommen kamen für dessen Weiterführung nicht in Betracht. Der andere, jetzt auch ausgestorbene Zweig des Kunstmalers August von Bayer (1803 bis 1875), lebte in Karlsruhe. Dessen letzte Sprossen begaben sich nach Amerika.

Von den Hoffmann – die in Rorschach lebenden Vertreter dieser Familie gaben seit Landammann Joseph Marzell (III.), 1809-1888, ihr adeliges «von» auf – waren Joseph Marzell (II.), 1759-1839, und seine Brüder noch Kaufleute. Er selbst wandte sich immer mehr der Politik zu. Der Leinwandhandel wurde nur noch nebenbei betrieben.

Die Familie von Albertis hielt ihr Leinwandgeschäft am längsten durch, bis 1839 verschärfte Zolldekrete zur verlustreichen Auflösung der ausländischen Warenlager zwangen.

Ein einst lohnender Verdienstzweig versank. Manche Söhne, Enkel und Urenkel der Rorschacher Grosskaufleute fand man fortan kommunaler, kantonaler und eidgenössischer Politik mit Leidenschaft verpflichtet. Es zeugt aber für die Rührigkeit des Schaffens und Planens eines traditionsverbundenen Fritz von Albertis, 1835-89, dass er, 31 Jahre nach Schliessung der väterlichen Kontore, die ersten zehn Handstickmaschinen in der Wachsbleiche aufgestellt und damit die Brücke zur Baumwollverarbeitung unseres Heimatortes geschlagen hat.

Weiterlesen im vorherigen / ersten Kapitel.

Den ganzen Originalartikel herunterladen

Zurück